Wie ich neulich dem Rassisten in mir begegnete

Rassismus und Spießigkeit schlummern in allen von uns. Sie zu reflektieren ist der erste Schritt, sie zu entschärfen. Aber manchmal verstecken sie sich gut.

 

Ich bin Rassist

Am Wochenende bin ich nach einem langen Workshop mit der S-Bahn nach Hause gefahren. Als ich aussteigen wollte stand ich eine ganze Weile neben einem jungen Mann mit dunkler Hautfarbe. Er hatte eine pizzaschachtelgroße Plastikschale mit Fastfood in der Hand, war offensichtlich ziemlich zugedröhnt und aß sein Kebab mit Pommes. Dabei benutze er weder Besteck noch seine Finger, sondern führte immer die ganze Schale zum Mund. Um sich herum hatte er dabei im Radius von einem Meter Essen auf dem Fußboden verteilt. Viel Essen. „Er isst wie ein Schwein“, dachte es in mir. „Sie essen wie die Schweine“ übersetzte dies mein innerer Rassismusdetektor. Denn ich bin eine Rassistin. Ich bin das Ergebnis jahrhundertelanger Überlegenheitsgefühle. Ich bin mir darüber bewusst und steuere so gut ich kann gegen. Also spitze ich meine Rassismen zu, wann immer sie mir auffallen. Ich seziere und analysiere sie und hoffe, sie dadurch zu entschärfen.

Und Spießer

Noch während ich so darüber nachdachte, bremste die S-Bahn etwas abrupt, der junge Mann verlor das Gleichgewicht und hielt sich mit der freien Hand an meinem Unterarm fest. „Fettfinger! Die ist frisch gewaschen“, quiekte der Spießer in mir. Vermutlich warf ich dem jungen Mann noch einen sehr bösen Blick zu und stieg aus.

Als ich weiter lief, stiegen aber, neben der Scham über meinen Rassismus und meine Spießigkeit noch weitere Gefühle in mir auf. Ich fühlte mich berührt. Der Griff an meinen Unterarm erschien mir menschlich und natürlich. Ich dachte darüber nach, wie ich selbst versucht hätte mich an allen möglichen ungeeigneten glatten Oberflächen festzuklammern, um bloß keinen anderen Menschen zu berühren. Wie absurd ist doch diese krampfhafte Vermeidung von Körperkontakt und wie schön, wenn ihn jemand so selbstverständlich herstellt.

Dieses mal dauerte es etwas länger, bis mein Rassismusdetektor ansprang.

Aber offensichtlich verklärte ich diesen Mann zum unverdorbenen Naturmenschen, noch nicht versaut von großstädtischen Neurosen, weil er vermutlich gerade erst unter irgendeinem afrikanischen Busch hervor gekrochen ist.

Und doch hat er mich berührt

Und doch hat mich dieser Griff nach meinem Arm, diese selbstverständliche Kontaktaufnahme berührt. Es war eine der Situation angemessene und sinnvolle Handlung. Sie hat mir gezeigt, wie schwer es für mich ist, Unterstützung anzunehmen und andere Menschen als geeignete Hilfeleister wahrzunehmen. Das bin nicht nur ich, das ist Berlin, das ist Großstadt, das ist auch notwendige Abgrenzung im viel zu vollen S-Bahnwagen. Nur hat das absolut nichts mit Hautfarben oder Herkunft zu tun. Allenfalls mit Verhaltensweisen, die sich durch das Zusammenleben vieler Menschen auf engem Raum entwickeln.

Und auch der Spießer in mir darf spießig sein und keinen Bock auf Fettfinger haben. Denn, verdammt nochmal, die Jacke war wirklich gerade frisch gewaschen.

Aber das nächste mal, wenn ich in der vollen S-Bahn stehe und das Gleichgewicht verliere, werde ich beherzt nach dem nächsten Unterarm greifen. Ich bin gespannt, was dann passiert.

 

Tweet about this on TwitterShare on FacebookShare on TumblrShare on Google+Pin on PinterestShare on RedditBuffer this pageEmail this to someoneFlattr the author

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.