Die erste Woche mit Faramir

Die erste Woche mit Faramir: Vertrauen, Angst und jetzt ist schon wieder nichts passiert

Am 30. Juni fahre ich mit Transportbox, Wasser, Napf, bergeweise Leckerlies, Halskette und Sicherheitsgeschirr zum Flughafen Tegel, um meinen Hund Faramir abzuholen. Ich hab ihn adoptiert und hinter mir liegen Wochen mit Papierkram, Telefonaten und Hausbesuch zur Überprüfung, ob meine Angaben stimmen und ich nicht eigentlich eine tätowierte Frau mit kurzgeschorenen Haaren bin, die den Hund in den Keller sperren und quälen will. Offensichtlich habe ich die Tests bestanden, ich habe nämlich gar keinen Keller und der Adoption wird zugestimmt.

Eigentlich wollte ich einen Kuvasz, so einen weißen Flokati, den hatte ich als ich 15 war und noch bei meinen Eltern wohnte. Aber das ist ein Herdenschutzhund und keine Tierschutzorganisation, die was auf sich hält, würde mir so einen Hund geben, da ich in der Stadt wohne und keinen eigenen Garten habe. Nach mehreren Versuchen gebe ich den Kuvaszplan auf und gucke nach anderen Hunden. Ich suche dabei in den Onlineauftritten deutscher Tierheime, aber auch anderer Organisationen, die auf die Vermittlung von Tieren aus Bulgarien, Rumänien, Spanien, Griechenland usw. spezialisiert sind. Auf der Seite von Stray bleibe ich an Freda hängen. Ihr Blick erinnert mich an den meiner Katze und ich mag dieses frech-neugierige Geschau. Freda hat einen Bruder, Faramir, der guckt dagegen sehr ängstlich und schüchtern. Ich weiß zwar überhaupt nicht wie das gehen soll, aber ich beschließe, die Geschwister nicht zu trennen und versuche die Adoption beider Hunde. Zu der Zeit befinden sie sich in einem riesigen Hundeshelter in Rafina, in der Nähe von Athen.

 

Freda

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Faramir und Freda

Ich fülle also die seitenlange Selbstauskunft aus und schicke sie an Stray. Schon am nächsten Tag antwortet mir die für Freda zuständige Frau mit der Info, dass Freda schon eine Familie in Griechenland gefunden hat. Eigentlich hatte ich mich ja in Freda verguckt und ihr Bruder Faramir solllte nur mit, weil ich die Geschwister nicht trennen wollte. Aber nach kurzem Überlegen war klar, dann ist es jetzt eben Faramir, der kleine schüchterne Hundejunge. Wie sich dann im Kontakt mit der für ihn zuständigen Frau herausstellte, haben schwarze Hunde fast keine Chance adoptiert zu werden, nach Deutschland ist es schon sehr schwer, in Griechenland selbst quasi unmöglich. Ich verstehe nicht warum, obwohl ja auch ich erst auf einen Hund mit hellem Fell fixiert war. Ich hätte nur nicht gedacht, dass das so verbreitet ist. Mainstream sind eben nicht immer nur die anderen.

In den nächsten Wochen bleibe ich in engem Kontakt mit der Organisation Stray, bekomme aktuelle Fotos von Faramir, und beauftrage ein maßgeschneidertes Sicherheitsgeschirr. Früher als gedacht steht der Flug für den 30. Juni fest. Ich lese Bücher über Beschwichtigungssignale, positives Bestärken und die unterschiedlichen Verhaltensweisen von Caniden und Primaten.

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Gut vorbereitet, glaube ich, mache ich mich am 30. auf den Weg nach Tegel. Nach langem Warten mit zwei weiteren Familien, einer Kontaktperson der Tierschutzorganisation Stray und einer Freundin der Flugpatin (das kann irgendjemand sein, der bereit ist, die Hunde während des Flugs zu begleiten und bei Ankunft in Empfang zu nehmen), kommen endlich die Hunde durch das Ankunftsgate.

Als letztes kommt die Box von Faramir. Die Flugpatin erzählt, dass er mit seiner Box zweimal von dem Kofferwagen gefallen war. Glücklicherweise erfahre ich das erst im Nachhinein und musste es nicht mit ansehen. Während die beiden Hunde der anderen beiden Adoptandenfamilien schon neugierig im Gang des Flughafens rumschnüffeln, sitzt ein kleines Häufchen Faramir noch immer in seiner Box und beschließt da auch zu bleiben. Alle anderen wollen ihm gut zureden, leider haben sie die Bücher über Beschwichtigungssignale ganz offensichtlich nicht gelesen, sonst würden sie sich nicht über den Hund beugen und mit lauter Stimme auf ihn einreden. Nach kurzer Zeit habe ich genug, sie meinen es ja alle gut, aber ich schiebe sie trotzdem beiseite, greife mir Faramir und trage seine gut abgehangenen 17 kg zum Auto in der Tiefgarage. Dort schlüpft er sofort in die bereitstehende Box und ist während der 30 minütigen Fahrt relativ entspannt.

Zuhause angekommen lasse ich ihn noch unten auf dem Fußweg aus der Box, aber er ist so verschreckt, dass er nur versucht mit der nächstbesten Hecke eins zu werden. Also setze ich ihn erneut in die Box und wuchte das ganze Paket in meine Wohnung in der 11. Etage (mit Fahrstuhl bis zur 10.).

Dort angekommen frisst Faramir ein bisschen und rennt sonst vor allem unruhig hin und her. Alles ist fremd.

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Zum Pullern und Kacken lasse ich Faramir auf den Balkon, ganz nach draußen traut er sich nicht. In der ersten Nacht läuft er viel hin und her, ab und zu legt er sich an das Fußende des Betts, die sonst so ruhige Wohnung bebt vor Aufregung und Unruhe.

Am nächsten Tag versuche ich mit ihm raus zu gehen. Schon beim Anlegen des Geschirrs und des zusätzlichen Halsbands macht er sich ganz klein und platt. Bevor er zum Fahrstuhl kommt, muss er eine Etage die Treppe runter laufen, eine Hürde, die unüberwindlich scheint. Ich sitze den halben Tag lesend im Treppenhaus, eine Leckerliespur führt von der Wohnungstür die Treppe runter, aber Faramir traut sich nur bis zur Treppenkante, ab da geht nichts mehr. Ich bleibe geduldig und warte, aber vergeblich. Es ist eine Gratwanderung, jedesmal wenn ich aufgebe und wieder in die Wohnung gehe, bestätige ich Faramir in seiner Angst. Ich weiß nicht weiter. Nach Beratung mit einem hundebesitzenden Freund trage ich Faramir runter und raus in den parkartigen Innenhof. Dort gehen viele Menschen mit und ohne Hund spazieren, Faramir schnuppert hektisch, zieht mich hinter sich her und sobald er eine Hecke oder ein Gebüsch sieht, verschwindet er darin. Nach einer halben Stunde trage ich ihn wieder hoch und er macht sein Geschäft auf dem Balkon.

So vergeht die erste Woche, ich bin über Nacht Mama geworden, hocke nur zuhause, wische Pipi und Kacka auf und bin total überfordert. Alle Bemühungen dem Hund die Angst vor der Treppe zu nehmen, helfen nichts, inzwischen entleert er sich nicht nur auf dem Balkon, sondern auch im Arbeitszimmer, ich trage ihn weiterhin raus und wieder rein und beide werden wir von Tag zu Tag immer unsicherer.

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